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Code-Knacker im Zweiten Weltkrieg entwickelte Computer-Vorläufer
Bisher unbekannte Episode deutscher Technikgeschichte

Hannover, 23. September 2004 - Telepolis-Autor Klaus Schmeh veröffentlicht unter www.telepolis.de ein bisher unbekanntes, spannendes Stück Technikgeschichte des Dechiffrierers Reinold Weber, der im Zweiten Weltkrieg das US-Geheimcode TELWA entschlüsselte und eine Dechiffriermaschine zum Knacken von M-209-Nachrichten baute.

Dass deutsche Dechiffrier-Spezialisten im Zweiten Weltkrieg Geheimcodes der Alliierten entschlüsselten, war selbst Experten bis vor einigen Jahren nicht bekannt. Laut Bericht des ehemaligen Präsidenten des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), Dr. Otto Leiberich, knackten die Deutschen im Zweiten Weltkrieg die US-Verschlüsselungsmaschine M-209. Diese Ausführungen dienten dem Telepolis-Autor Klaus Schmeh als wichtige Informationsquelle, als er sein vor kurzem erschienenes Buch "Die Welt der geheimen Zeichen - Die faszinierende Geschichte der Verschlüsselung" verfasste. Als er Auszüge dieses Buches bei Telepolis vorab veröffentlichte, führte dies zu einer kleinen Sensation: Ein 84-jähriger Mann aus Frankfurt meldete sich bei ihm und berichtete, im Zweiten Weltkrieg am Knacken der besagten US-Verschlüsselungsmaschine M-209 beteiligt gewesen zu sein.

Der 1920 in Österreich geboren Reinold Weber, der sechs Jahre seiner Kindheit in den USA verbracht hatte, wurde 1941 zur Wehrmacht eingezogen. Aufgrund ausgezeichneter Englisch-Kenntnisse wurde er erst als Nachrichten-Dolmetscher und später als Entzifferer ausgebildet. Eingesetzt in der Dechiffrier-Einheit FNAST5, gelang es ihm, den TELWA-Code von US-Funksprüchen zu entschlüsseln und auch Maschinenschlüssel zu entziffern. In dieser Zeit knackten Weber und seine Kollegen die Codes der US-Verschlüsselungsmaschine M-209 und fingen brisante Informationen ab. So gab es immer wieder Hinweise auf bevorstehende Bombardierungen deutscher Städte, die meist etwa sechs bis acht Wochen vor der Durchführung in Funksprüchen angekündigt wurden. Welche Gegenmaßnahmen das deutsche Militär mit Hilfe dieser Informationen traf, erfuhr Weber jedoch nie.

Im April 1944 kam Weber auf die Idee, eine Maschine zu bauen, die einen Teil der mühsamen Entzifferungsberechnungen automatisieren sollte. Die Firma Hollerith, später IBM, fällte eine positive Beurteilung, erklärte aber der Bau einer solchen Maschine dauere etwa zwei Jahre. So machte sich Weber mit einem Kollegen allein ans Werk. Sie schufen eine Maschine, die aus zwei Kästen bestand: einem in der Größe eines Schreibtisches, der die Relais und die vier Drehwalzen enthielt, sowie einem weiteren Kasten mit 80 x 80 x 40 cm Kantenlänge. Letzterer Kasten enthielt 26 mal 16 Birnenfassungen, mit denen sich mit Hilfe von Birnen die Buchstaben der relativen Einstellung nachbilden ließen. Damit schrieben Weber und sein Kollege ein interessantes Stück Technikgeschichte, denn ihre Konstruktion hatte mit ihrer Binärlogik bereits viele Gemeinsamkeiten mit einem Computer. Dabei war der Computer zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht erfunden, wenn man von der ebenfalls zur Dechiffrierung entwickelten britischen Maschine Colossus absieht, die etwa zur gleichen Zeit entstand.

Mitte September 1944 konnte Weber erstmals die Stärke seines Computervorläufers unter Beweis stellen: Während eines Nachtdiensts ermittelte er mit seiner Maschine - ohne die Unterstützung seiner Kollegen - den Schlüssel M209. Was ohne Maschinenhilfe für ein Dreierteam mindestens eine Woche Arbeit bedeutet hätte, schaffte er innerhalb von etwa sieben Stunden. Anfang 1945, Weber war über mehrere Umwege in Salzburg gelandet, wollte er seine Dechiffrier-Maschine wieder einsetzen. Es fehlte jedoch die notwendige Funktechnik. Das Gerät erwies sich als nutzlos. Sein Vorgesetzter befahl daher, die Maschine zu vernichten. Mit Pickel, Beil, Hammer und Stahlsäge verschrottete Weber daraufhin das Gerät, dessen Konstruktion ihn mehrere Monate lang beschäftigt hatte.

Damit verschwand ein historisch äußerst interessanter Computer-Vorläufer wieder von der Bildfläche. Bis heute wird dieses Gerät in keiner Literaturquelle zur Computer-Geschichte erwähnt. Erst die Telepolis-Veröffentlichung eines Kapitels aus dem besagten Buch "Die Welt der geheimen Zeichen - Die faszinierende Geschichte der Verschlüsselung" brachte Weber dazu, sein bisheriges Schweigen zu beenden. Er gab seine Niederschrift aus dem Jahre 2000 an den Autor des Buchs weiter, der daraufhin diesen Artikel verfasste.

Telepolis-Mitarbeiter Klaus Schmeh arbeitet als Produktmanager für Verschlüsselungslösungen bei der cv cryptovision in Gelsenkirchen. Im Nebenberuf schreibt er über Bücher und Artikel über das Thema Kryptologie (Lehre der Verschlüsselung).

Den vollständigen Artikel finden Sie unter der URL:
http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/18371/1.html