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Telepolis: Neue EU-Bilanzierungsstandards kosten Milliarden
In den Fängen der Lobbyisten der „Big Four“

München/Hannover, 28. Mai 2013 – Angeblich möchte die EU-Kommission seit Ausbruch der Finanzkrise Steuerlöcher schließen. Tatsächlich sorgt sie systematisch für deren Beibehaltung – dies ist ein Ergebnis einer Telepolis-Recherche über die Bilanzierungsrichtlinien in der EU. Nun soll auch noch die staatliche Bilanzierung privatisiert werden.

Die EU will alle 27 EU-Staaten zwin­gen, ihre Rechnungslegung im öffentlichen Sektor auf den IPSAS­-Standard (International Public Sector Accounting Stan­dards) umzustellen. Die Kosten für den Umstieg werden auf 50 bis 150 Millionen Euro pro Land beziffert. Profitieren werden vor allem die „Big Four“, die weltweit führenden Bilanzprü­fungs­gesellschaften Ernst & Young, Price Waterhouse Coopers, KPMG und Deloitte, berichtet das Online-Magazin telepolis.de. Die IPSAS-Standards stammen von dem in den USA ansässigen Privatunternehmen IFAC, das von den „Big Four“ dominiert wird.

Über zahlreiche Lobbyverbände werden internationale Bilanzierungsstandards für Unternehmen und Staaten vertrieben, die eines verbindet: Ihre Einhaltung erfordert die Beauftragung von Bilanzprüfern. Wie der Vorsitzende des IPSAS Boards, Andreas Bergmann, in einem Telepolis-Interview ausführt, drohen unwilligen Staaten nicht nur höhere Zinsen, sondern auch horrende EU-Bußgelder in Höhe von bis zu 0,5 Prozent des Bruttosozialproduktes. Für größere Mitgliedsstaaten, zum Beispiel jene mit autonomen regionalen Regierungssystemen oder komplexeren Regierungsstrukturen, könnten die Kosten viel höher ausfallen, sagte Eurostat Generaldirektor Walter Radermacher gegenüber Telepolis.

Wie Telepolis-Recherchen erga­ben, wurden in der Schweiz bereits über 65 Millionen Franken Steuergelder für die Umstellung auf IPSAS ausgegeben. Pikant: Ein Teil der Aufträge ging nachweislich an Price Waterhouse Cooper, deren Schweiz-Vorsitzender mit dem Slogan wirbt: „Steuern sind heute die größte Bedrohung für das Geschäftswachstum.“

Einführung und Befolgung des IPSAS-Standards sind derart schwierig, dass nur die „Big Four“ als Dienstleister in Frage kommen, die bereits 99 Prozent der im FTSE-100-Index gelisteten Unternehmen prüfen.

Der zuständige EU-Kommissar Algirdas Šemeta, der selbst IPSAS in seinem Heimatland Litauen einführte, wird am 29. Mai in Brüssel eine interne Konferenz von Eurostat mit den IPSAS-Lobbygruppen eröffnen. Zum Thema IPSAS wollte Šemeta sich nicht äußern. Allerdings fordert der für Steuern und Betrugsbe­kämpfung zuständige EU-Kommissar eine „Beseitigung der steuerlichen Hindernisse für grenzüberschreitende Unter­nehmen.“ Nicht die Steuerverluste durch internationale Bilanzie­rungstricks, sondern Schwarzarbeit ist laut Šemeta die Ursache für die Steuerverluste in der EU.